Ist ein Strafrichter vom angeklagten Sachverhalt nicht überzeugt, weil die Beweislage gleichermaßen auch andere Möglichkeiten zulässt, muss er den Angeklagten freisprechen. Eine Wahlfeststellung ist laut Bundesgerichtshof nur möglich, wenn alle möglichen Tathergänge angeklagt sind und der Täter für jede einzelne zu verurteilen wäre.
Temperaturregler für Cannabisplantage geliefert
Die Polizei fand bei einer Hausdurchsuchung Anhaltspunkte dafür, dass in den Räumlichkeiten eine Cannabisplantage betrieben worden war – die Täter waren jedoch nicht zu ermitteln. Unter anderem machten die Beamten einen Temperaturregler ausfindig, der aber noch nicht eingebaut worden war. Auf diesem Gerät prangte eine DNA-Spur. Der dazugehörige Mann, so die Feststellungen des Landgerichts Aachen, hatte zugesagt, den Regler für die Plantage zu installieren. Die Richter gingen davon aus, dass er das Gerät entweder für ein bisher genutztes Teil austauschen wollte, als bloßes Ersatzteil für die Anlage geliefert hatte oder für zukünftige Felder installieren wollte. Angeklagt war er aber nur wegen Beihilfe zum Betäubungsmittelanbau bis zum Tag der Durchsuchung. Das LG stellte das Verfahren wegen eines dauernden Verfahrenshindernisses ein: Die Richter gingen zu seinen Gunsten davon aus, dass er sich im Zweifel einer hier nicht angeklagten Tat schuldig gemacht hatte. Der Mann legte Revision ein, um freigesprochen zu werden – mit Erfolg.
Anspruch auf Freispruch
Der 2. Strafsenat sprach ihn frei: Eine Wahlfeststellung komme nur in Betracht, wenn alle Sachverhalte angeklagt werden und der Angeklagte auch in allen Varianten einen Straftatbestand erfüllen würde. Aber selbst wenn die Staatsanwaltschaft nun die nächste Anklage erhöbe, mit der sie ihm Beihilfe zu einem künftigen Betrieb der Anlage vorwürfe, würde der Mann aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verurteilt. Denn ihm fehle die Tatherrschaft für den Anbau, und außerdem sei sein entsprechender Gehilfenwille nicht festgestellt worden. Eine Beihilfe zum versuchten Betäubungsmittelhandel wäre laut den Bundesrichtern hingegen nicht gegeben, weil die Lieferung eines Temperaturreglers lediglich eine Vorbereitungshandlung – also kein Unmittelbares Ansetzen – darstelle. Und eine strafbare Verabredung zu einem Verbrechen nach § 30 StGB komme nur für künftige Täter, nicht für bloße Gehilfen in Frage. Ohne die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung gebe es aber keine Grundlage für die Wahlfeststellung. Eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft nach § 2 Abs. 1 StrEG sprachen ihm die Karlsruher Richter trotzdem nicht zu, weil er mit der Lieferung und seiner Zusage zur Installation des Reglers die Strafverfolgungsmaßnahme selbst verursacht hatte.
Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 21. Dezember 2022.
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