Die Fälle der strafrechtlichen Inanspruchnahme von Ärzten aufgrund des Vorwurfes der fahrlässigen Tötung haben in den letzten Jahren -nicht nur in Deutschland- stark zugenommen.
Wann handelt der Arzt eigentlich fahrlässig? Reicht es schon aus, wenn eine OP oder ein Eingriff misslingt? Sicherlich nicht. Fahrlässig handelt nur derjenige, der die Sorgfalt außer acht läßt, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und imstande ist, und dadurch den (strafrechtlichen) Erfolg herbeiführt, ohne dies vorauszusehen.
In diesem Fall spricht man von unbewußter Fahrlässigkeit. Hat der Arzt vorwerfbar darauf vertraut, daß es schon gut gehen wird, so spricht man von bewußter Fahrlässigkeit.
Auch der beste und geschickteste Arzt kann nicht mit der Präzision von Computern oder Maschinen arbeiten. Es gibt daher einen Bereich, der dem Arzt bei seinem Tun zugebilligt wird, der weder zivilrechtliche, noch strafrechtliche Folgen nach sich zieht.
Im strafrechtlichen Sinne müssen mehrere Merkmale erfüllt sein, bevor man positiv von einer strafbaren Handlung sprechen kann. Hier eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Punkte:
1. Der Arzt hat bei seiner Arbeit den Standart eines erfahrenen Facharztes auf dem jeweiligen Fachgebiet einzuhalten.
Die Frage der objektiv gebotenen Sorgfalt wird hier aus der ex ante Sicht bestimmt, also zu dem Zeitpunkt des Eingriffes. Dabei unterliegen die ärztlichen Behandlungsmethoden einem stetigen Wandel, da der Fortschritt und neue Erkenntnisse auch in der Medizin stets voranschreiten. Dem behandelnden Arzt wird grundsätzlich Methodenfreiheit, also Therapiefreiheit bei seiner Tätigkeit zugebilligt. Allerdings gibt es auch hier Grenzen, die einzuhalten sind. Der Arzt ist nämlich z.B. dann nicht mehr in seiner Behandlungsmethodenentscheidung frei, wenn es ein anderes Verfahren gibt, dessen erfolgreiche Wirkung allgemein anerkannt ist. Dann muß er sich grundsätzlich für das erfolgversprechendste Verfahren entscheiden.
2. Eine Sorgfaltspflichtverletzung kann durch Tun (z.B. Verletzung der Speiseröhre bei der Intubation durch einen Anästhesisten) oder auch durch Unterlassen (z.B. nicht rechtzeitiges Einweisen in ein Krankenhaus) bestehen. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein.
3. Häufige Fehler sind Organisations-, Behandlungs- und Aufklärungsfehler:
a) Organisationsfehler können sich mannigfaltig realisieren. Für den Chefarzt z.B. gilt die Allzuständigkeit. Bei ihm liegt die Verantwortung für die ordnungsgemäße, das heißt dem Standart eines erfahrenen Facharztes entsprechende Behandlung und zwar für sein gesamtes Team. Er muß nicht nur die ärztlichen Dokumentationspflichten überwachen und kontrollieren, sondern auch die Patientenaufklärung. Gleiches gilt für das ordnungsgemäße Funktionieren des Bereitschaftsdienstes und der Rufbereitschaft, um nur einige Punkte zu nennen.
b) Unter Behandlungsfehler versteht man einen Verstoß gegen den fachärztlichen Standart. Es gibt sehr viele Arten von Behandlungsfehlern – genannt werden soll hier, weil relativ häufig, der Diagnosefehler. Hierunter fällt z.B. die (gebotene) Nichtvornahme einer Rektroskopie bei bestehenden Darmblutungen.
Ferner gibt es Kontroll- und Überwachungsfehler, die z.B. durch eine ungenügende postoperative Überwachung erfüllt sein können. Auch eine erforderliche Fixierung eines Patienten, der durch das Fehlen derselbigen aus dem Bett fällt, stellt einen Fehler dar, wenn die Realisierung einer solchen Gefahr erkennbar war.
c) Aufklärungsfehler bei der Anwendung neuer Verfahren Die Anwendung neuer Verfahren ist für den medizinischen Fortschritt unerlässlich. Am Patienten dürften sie aber nur dann angewandt werden, wenn diesem zuvor unmissverständlich verdeutlicht wurde, daß die neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken berge.
Nach einem Zivilurteil des BGH (Bundesgerichtshof) kann sich ein Patient auch bei einem relativ neuen Operationsverfahren nicht auf einen Aufklärungsfehler berufen, wenn sich (nur) ein Risiko verwirklicht, über welches er aufgeklärt worden ist.
In dem konkreten Fall ging es um die Robodoc-Operationen an Hüftgelenken mittels einer computergesteuerten Fräsmaschine. Die Patientin erlitt eine Nervschädigung am Gelenk.
Der BGH hat zu den Anforderungen an den Einsatz eines medizinischen `Neulandverfahrens` und an die Aufklärung des Patienten hierüber Stellung genommen. Wolle der Arzt keine allseits anerkannte Standardmethode, sondern eine – wie hier – relativ neue und noch nicht allgemein eingeführte Methode mit neuen, noch nicht abschließend geklärten Risiken anwenden, so habe er den Patienten auch darüber aufzuklären und darauf hinzuweisen, dass unbekannte Risiken derzeit nicht auszuschließen seien.
Dieser Aufklärungsmangel wirkte sich aber hier in dem konkreten Fall nicht aus, weil sich mit der Nervschädigung ein auch der herkömmlichen Methode anhaftendes Risiko verwirklicht habe, über das die Patientin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts aufgeklärt worden sei.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats könne sich der Patient nämlich nicht auf einen Aufklärungsfehler berufen, wenn sich (nur) ein Risiko verwirkliche, über das er aufgeklärt worden sei. (Urteil des BGH vom 13.06.2006, VI ZR 323/04).